Hinter den Kulissen der Lebensretter: Ein Besuch bei der ZKRD-Tagung

BeomedBeomedBlog

Es hieß raus aus meiner Übersetzerinnen-Komfortzone, denn auf der Tagung des Zentralen Knochenmarkspender-Registers Deutschland (ZKRD) in Ulm kannte ich keine Menschenseele. Dort, in der Donauhalle, tauschten sich sämtliche Interessengruppen aus dem Bereich der 𝗦𝘁𝗮𝗺𝗺𝘇𝗲𝗹𝗹𝘁𝗿𝗮𝗻𝘀𝗽𝗹𝗮𝗻𝘁𝗮𝘁𝗶𝗼𝗻 aus: zahlreiche Organisationen, die Spender:innen rekrutieren („Spenderdateien“), Transplantationszentren, Einrichtungen, die für die Suche nach zum Patienten bzw. zur Patientin passenden Spender:innen zuständig sind („Sucheinheiten“), Kuriere, die das wertvolle Gut zum Transplantationsort befördern, das Team vom ZKRD und viele weitere.

Seit über 30 Jahren übersetze ich Texte aus den Bereichen Transfusion, Zell- und Immuntherapie – von Handbüchern für Autopheresegeräte bis hin zu Gebrauchsanweisungen für Schlauchsets. Das Wissen über Technik und Medizinprodukte ist jedoch nur einer von vielen Bausteinen. Daher begeisterte mich die Themenvielfalt im Tagungsprogramm:

  • CAR-T-Zellen in Autoimmunerkrankungen
    [für einen „immunologischen Reset“, etwa bei systemischem Lupus Erythematodes]
  • Histokompatibilität 2.0 in der allogenen Stammzelltransplantation [einmalige PTCy-Verabreichung ermöglicht auch allogene Transplantation nicht perfekt gematchter Spender]
  • Zelltherapien bei Leukodystrophien [extrem teuer, aber überraschend effektiv]
  • MatchGraft.AI, eine KI zur Reduktion unerwünschter Nebenwirkungen von Transplantationen
  • Digitaler Zwilling optimiert Patienten-Outcome
  • KI in der Medizin – Zukunft mit Risiken und Nebenwirkungen

Diese wissenschaftlichen Vorträge ermöglichten Einblicke in die aktuelle Forschung und Entwicklung. Aber auch die Praxisberichte, zum Beispiel zum Vorgehen bei Nebenwirkungsmeldungen (SPEAR) an die Dachorganisation WMDA und zur Weiterentwicklung des Deutschen Registers für HSZT und Zelltherapie halfen, die „Stammzellwelt“ noch besser zu verstehen.

Zufallsbefunde – Spenderschutz hat Priorität!

Sehr lebhaft wurde die Diskussion beim Vortrag von Joannis Mytilineos und Reiner Siebert: „Genetische Keimbahnveränderung beim Spender. Was tun?“

Wenn durch einen Zufallsbefund beim Transplantatempfänger eine Keimbahnveränderung des Spenders/der Spenderin festgestellt wird – sollte er oder sie informiert werden? Und sollte bereits vor der Spende entschieden werden, ob und ab welchem Schweregrad einer Mutation informiert wird? Ein solches Wissen kann weitreichende Folgen haben, wie Susanne Morsch von der Stefan-Morsch-Stiftung kritisch einwarf, zum Beispiel für eine spätere Berufsunfähigkeitsversicherung junger Spenderinnen und Spender.

ADCU – zweimal eine zweite Chance auf ein neues Leben

Auch die auf den ersten Blick erfreuliche Möglichkeit, einen Überschuss an gespendeten Stammzellen als „𝗔𝗗𝗖𝗨“ (𝗔𝗱𝘂𝗹𝘁 𝗗𝗼𝗻𝗼𝗿 𝗖𝗿𝘆𝗼𝗽𝗿𝗲𝘀𝗲𝗿𝘃𝗲𝗱 𝗨𝗻𝗶𝘁) kryokonserviert einzulagern und einer zweiten Person zu transplantieren, wurde wegen des Spenderschutzes hinterfragt. Im schlimmsten (wenngleich nicht wahrscheinlichen) Fall wächst das Transplantat weder beim ersten noch beim zweiten Patienten an und der Spender bzw. die Spenderin fühlt sich möglicherweise zu einer Zweitspende für beide Personen verpflichtet. Einig waren sich die Anwesenden, dass zur Gewinnung von ADCU keine zusätzlichen Wachstumsfaktoren verabreicht werden sollen, sondern allenfalls die Apheresedauer etwas verlängert wird.

Hürdensprung für Stammzell-Experten

Eher unscheinbar wirkte der Programmpunkt „Aktuelle Hürden und Denkanstöße“ auf der Tagungsagenda. Aber hier präsentierten Vertreter:innen der einzelnen Schaltstellen, die ja letztlich alle das Ziel haben, Patienten und Patientin schnellstmöglich zum idealen Stammzellpräparat zu verhelfen, die alltäglichen Herausforderungen aus ihrer Perspektive. Es fehlt etwa an Personal und Terminen für die Stammzellentnahme, Spender:innen sagen ab oder werden zu lange „reserviert“, man muss sich rechtfertigen, wenn man als Transplanteur ein Knochenmarkpräparat gegenüber Stammzellen bevorzugt (z. B. bei Kindern) und so weiter. Bis der Transplantationstermin steht, haben alle Beteiligten einen anstrengenden Telefonmarathon hinter sich.

Die angeregte Diskussion zu den Kurzvorträgen wurde in Kleingruppen fortgeführt, auch dort spürte man, mit wie viel Herzblut die Beteiligten ihre Arbeit tun. Und dass es ihnen um mehr geht, als das „Matching“ von Gewebemerkmalen.

Perfekt abgerundet wurde die Tagung dann von Prof. Manfred Spitzer, der uns zu einem Selbstversuch aufforderte und damit humorvoll bewies, „dass wir ganz viel können, aber keine Ahnung davon haben.“ Mit ihm tauchten wir in die Geschichte der KI und der KI in der Medizin ein und staunten über überraschende Erfolgsgeschichten in der Radiologie und Antibiotika-Entwicklung.

Vielen Dank für die interessanten Einblicke und den netten Austausch mit dem Team der Stefan-Morsch-Stiftung und all den anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die meine vielen Fragen so geduldig beantwortet haben!

Es ist eine Sache, auf eine Konferenz von Gleichgesinnten zu gehen. Im überschaubaren Kreis der fortbildungsinteressierten Übersetzerinnen und Übersetzer gleichen diese Veranstaltungen eher Klassentreffen, die mehrmals im Jahr mit überlappendem Personal an anderen Orten und mit etwas anderen Schwerpunkten stattfinden. Die coachende Kollegin @chrisdurban mahnt uns deshalb zurecht, das „𝐓𝐫𝐚𝐧𝐬𝐥𝐚𝐭𝐨𝐫𝐥𝐚𝐧𝐝“ zu verlassen, um jenseits unserer Branchen-Bubble regelmäßig das „𝐂𝐥𝐢𝐞𝐧𝐭𝐥𝐚𝐧𝐝“ zu erkunden.